Inklusion am Arbeitsplatz ist bereichernd für alle. Dass sie erfolgreich klappt, ist nicht selbstverständlich. Umdenken und neue Prozesse sind nötig. Der Quartierladen der Martin Stiftung bietet geschützte Arbeitsplätze an und sammelt täglich Erfahrungen, wie Inklusion gelebt werden kann. Der Feine Martin als Beispiel mit hilfreichen Tipps aus erster Hand.
Der Feine Martin ist mehr als nur ein Lebensmittelgeschäft. Seit zwölf Jahren besteht das Team von dem Quartierladen in Erlenbach aus Fachpersonen und Menschen mit Beeinträchtigung. Einige von ihnen wohnen in der Martin Stiftung, die den Laden führt. Andere Mitarbeitende leben selbstständig in der Region oder in begleiteten Wohngemeinschaften in Zürich.
Kunden beraten, grosse Bestellungen überblicken, das Lager mit dem Laden-Sortiment abgleichen: Jeder weiss, dass diese Aufgaben manchmal kniffelig sind. Auch Menschen mit Beeinträchtigung sind dann froh um Struktur und praktische Werkzeuge. Diese Werkzeuge sind im Quartierladen Zum Feinen Martin Listen, Tagespläne, Einzelförderung und Arbeitsagogen im Team. Auch unterstützte Kommunikation kommt zum Einsatz. Sie hilft unter anderem mit Icons, Arbeiten auch für Menschen, die nicht lesen können, verständlich zu machen.
Auf einer Liste im Flur sind alle Arbeiten im Feinen Martin aufgelistet. Täglich wird angekreuzt, wer was macht. Das Einräumen von Waren, die Kundenberatung, das Einkassieren, Reinigung und der Käseverkauf an der Offentheke zählen zu den täglichen Aufgaben. Beliebt ist es, die Produkte zu dekorieren und die Werbetafel hinter der Kasse zu bemalen. Der Gesprächsbedarf ist gross. Wer springt ein, wenn jemand ausfällt, wer hilft wem und wer hat Zeit noch ein Gestell zu putzen oder eine Lieferung einzuräumen?
Für mehr Inklusion: Agogik im Arbeitsalltag
«Die Mitarbeitenden werden gefördert, selbstständiger zu werden, mitzudenken und flexibel zu sein. Kein Tag ist wie der andere», erklärt die Arbeitsagogin Svenja Sax. Sie begleitet die Mitarbeitenden im Arbeitsalltag, ist Ansprechperson bei Problemen, hilft am Telefon, wenn jemand zum Beispiel wegen einer psychischen Verstimmung morgens nicht aufstehen kann. Meist helfe das Gespräch am Telefon, Verständnis und die Tagesstruktur. «Sie kommen meist doch zur Arbeit», erzählt Sax. Der Grund: «Ich fühle mich hier wohl, werde nicht ausgenutzt und man hat Verständnis, wenn es mir nicht gut geht. Wir helfen uns gegenseitig», sagt eine Mitarbeiterin, die seit zwölf Jahren im Feinen Martin arbeitet.
Für eine andere Mitarbeiterin ist ihr Arbeitsplatz die Chance, Neues zu lernen, um irgendwann einen ganz normalen Job im allgemeinen Arbeitsmarkt zu bekommen. «Wir lachen hier sehr viel. Ob man ausserhalb vom geschützten Rahmen auch so viel lachen kann, weiss ich nicht», meint sie verschmitzt.
Ein Mitarbeiter, der auch schon seit sechs Jahren zum Team gehört und sogar mitgeholfen hat, die neuste Fachperson einzuarbeiten, erzählt: «Am besten gefällt mir hier, dass es so viele coole Leute hat. Im Feinen Martin kommen alle vorbei und reden miteinander. Das ist lässig.»
Das Sortiment vom Feinen Martin
Was wünschen sich die Kunden? Was möchten sie im Sortiment haben? Das hat das Team vom Feinen Martin neben den internen Wohngruppen auch die Nachbarschaft gefragt. Seitdem werden Bio-Produkte und auch konventionelle Waren geführt. Ein Schwerpunkt liegt auf regionalen Produkten, die fair und ökologisch produziert werden. Der Kaffee wird zum Beispiel von Menschen mit einer Behinderung im Zürcher Oberland geröstet, in der Vivazzo Stiftung. Das Brot liefert die Bäckerei der Stiftung Palme, die ebenfalls geschützte Arbeitsplätze anbietet.
Verkauft werden auch Eigenprodukte der Martin Stiftung: Gemüse und Eier vom eigenen Biohof, veganer Wein, Teigwaren und Risotto, Teemischungen, Sirup und Geschenkideen.
Bewohner lernen das Einkaufen
Im Quartierladen können die rund 170 Bewohnerinnen der Martin Stiftung das Einkaufen lernen. Sie kaufen für die Wohngruppe ein oder etwas für sich privat. So sammeln sie Erfahrungen mit Einkaufslisten und den Umgang mit Geld. Später können sie auch ausserhalb der Stiftung selbständig einkaufen.
Für ältere Nachbarn im Quartier hat der Feine Martin eine besondere Dienstleistung: Die Mitarbeitenden rüsten die per Telefon bestellte Ware und liefern sie mit dem Auto oder zu Fuss bis zur Wohnungstür.
Treffpunkt im Quartier
Direkt am Eingang vom Areal der Martin Stiftung gelegen, ist der Feine Martin ein Treffpunkt für Bewohner und Nachbarinnen geworden, die Lounge vor dem Eingang ein Ort der Begegnung. Und von wem sind die Pflanzen dort? Die hat die Gärtnerei Zum Grünen Martin nebenan im eigenen Gewächshaus gezogen, auch hier gibt es geschützte Arbeitsplätze.
«Das Schöne ist, dass man nicht nur regional und bio einkauft kann, sondern es auch den sozialen Aspekt gibt und man Menschen mit Beeinträchtigung unterstützt. Man merkt, dass vielen Menschen diese Kombination wichtig ist,» findet Svenja Sax.
Tipps aus erster Hand für die erfolgreiche Inklusion am Arbeitsplatz
Neue Prozesse, viel Kommunikation, Einfühlungsvermögen und Flexibilität sind gefragt, wenn Inklusion von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung am Arbeitsplatz gelingen soll. Wir haben die Mitarbeitenden vom Quartierladen der Martin Stiftung gefragt, was für sie die wichtigsten Punkte für eine gelungene Zusammenarbeit, ein funktionierendes Team, sind. Das haben sie geantwortet:
- Akzeptanz
Jeder Mensch muss so akzeptiert werden, wie er oder sie ist. - Gegenseitiger Respekt
Wir begegnen einander auf Augenhöhe. - Zusammenarbeit
Bei Problemen und Diskussionen können wir die Fachmitarbeitenden dazu holen und um Unterstützung fragen, ohne das es für jemanden peinlich ist. - Rücksicht
Wir nehmen Rücksicht auf die Schwächeren im Team. Schliesslich trägt jeder seinen Rucksack. - Ordnung
Wir versorgen immer alles am selben Ort. Dadurch haben alle Orientierung und bei Schichtwechseln gibt es weniger Fragen. - Vorbereitung
Bei uns im Laden weden die Regale immer schön aufgefüllt. Alles muss an Ort und Stelle sein. Das bedeutet vor allem eines: weniger Stress für alle. - Kommunikation
Wir unterhalten uns viel. Das schafft Klarheit und die Sicherheit, dass wir wirklich über dasslbe Thema sprechen.
Geschenkkörbe & Onlineshop
Gerne stellt Ihnen das Team vom Feinen Martin die Eigenprodukte der Martin Stiftung in Geschenkkörben zusammen. Wein, Teigwaren, Risotto, gewebte Tücher, Karten und vieles mehr finden Sie auch in unserem Onlineshop.
Sie haben Fragen?
Elisabeth Lippuner, Teamleiterin vom Feinen Martin, hat Antworten.
Zum Feinen Martin
Im Bindschädler 1, 8703 Erlenbach
Telefon 043 277 44 21
Bilder: Miriam Eckert, Torvioll Jashari